Corona-Nothilfe: HEKS unterstützt MigrantInnen in Genf

© Laurent Guiraud

© Laurent Guiraud

Infolge des Coronavirus unternahm das HEKS-Projekt «Permanences volantes – Beratung für MigrantInnen» verstärkte Anstrengungen, um die Flut der Hilferufe von Personen zu bewältigen, die von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit verloren hatten. Einblick in die mongolische Gemeinschaft, in der HEKS sehr aktiv war.

© Jean-Patrick Di Sivestro

© Pierre Albouy

Copy right : Julien Laufer

Copy right : Julien Laufer

Corona-Nothilfe

Mehr als 2500 Personen, die stundenlang Schlange stehen, um einen Sack Lebensmittel im Wert von 20 Franken zu erhalten – dieses schockierende Foto machte im Frühling während des Lockdowns in Genf Schlagzeilen. Eine Momentaufnahme, die eine verborgene Seite des Internationalen Genf, UNO-Hauptsitz und Hort der Menschenrechte, ans Licht brachte: Tausende von Menschen, oft Sans-Papiers, leben dort in prekären Verhältnissen und kommen mehr schlecht als recht über die Runden, Männer mit Gelegenheitsjobs, Frauen mit mühsamer, dürftig bezahlter Hausarbeit im Stundenlohn. Unser Land musste erst in den Stillstand versetzt werden, damit eine breite Öffentlichkeit diese Tatsache wahrnimmt.

Otgonchimeg Demchigsuren, Mitarbeiterin bei Permanences volantes

Otgonchimeg Demchigsuren, Mitarbeiterin bei Permanences volantes

«Sogar ich war schockiert. Ich glaubte die prekären Lebensverhältnisse der mongolischen Gemeinschaft in Genf zu kennen, hatte aber keine Ahnung, wie schlimm es wirklich war», berichtet Otgonchimeg Demchigsuren, selbst gebürtige Mongolin, die für das HEKS-Projekt «Permanences volantes – Beratung für MigrantInnen» in Genf arbeitet. Ogi, wie sie von allen genannt wird, hat jedoch regelmässig mit MongolInnen zu tun. Ihre Aufgabe ist es, Personen, die oft keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben, an die geeigneten Sozial- und Gesundheitsdienste zu verweisen und ihnen zu erklären, wie Krankenversicherungen, Schulen und Familienzulagen funktionieren. An einem Tag kann sie bis zu zehn vollkommen unterschiedliche Situationen bearbeiten. Und wenn nötig begleitet Ogi, die zudem Übersetzerin beim Roten Kreuz ist, Hilfesuchende auch bei administrativen Schritten.

Verzweifelte Anrufe nach Stellenverlust

Mit dem Lockdown hat sich die Situation zugespitzt. Ogi erhielt ständig Anrufe von verzweifelten Personen, die von heute auf morgen ihre Arbeit verloren hatten: «Die einen weinten, andere machten ihrem Ärger Luft. Es war sehr hart für sie. Sie wussten nicht mehr, wie sie die Miete bezahlen oder etwas zu essen kaufen sollten.» Von März bis Juli überwies «Permanences volantes» bedürftige Personen an geeignete kantonale Einrichtungen und nahm Bestellungen für 30 bis 40 «Colis du cœur» pro Tag auf, gegenüber 8 bis 10 pro Woche in normalen Zeiten. Diese wöchentlichen «Lebensmittelpakete» sind in Wirklichkeit Einkaufsgutscheine für Supermärkte im Wert von 50 bis 150 Franken, je nach Anzahl Personen im Haushalt. Die Gutscheine werden normalerweise per Post zugestellt. Wer keinen Briefkasten hat, kann sie im HEKS-Büro abholen.

Ulzii Jargal, eine 54-jährige Mongolin, lebt mit ihrem 17-jährigen Sohn allein in Genf. Mit Haushaltsarbeiten bei drei verschiedenen Familien, ab und zu Babysitting und der Betreuung einer betagten Person in einem Pflegeheim bleibt am Monatsende jeweils nicht viel übrig. Von einem Tag auf den anderen stand sie ohne Arbeit da. Das Pflegeheim war nicht mehr erreichbar und ihre anderen Arbeitgeber sagten ihr ab. Allein ein Herr, dem sie zwei Stunden pro Woche den Haushalt besorgt und dem sie nie begegnet, hat sie weiterhin bezahlt. Die Familie hingegen, bei der sie am meisten arbeitet und ganzjährig auf die Kinder aufpasst, stellte ganz einfach sämtliche Zahlungen ein, obwohl sie ihre persönliche Situation gut kennt: ein Verdienstausfall von 2400 Franken. «In der Mongolei gibt es die Solidarität der Familie, hier aber bin ich ganz allein. Zum Glück hat mir HEKS helfen können. Ich habe jede Woche einen Einkaufsgutschein bekommen und Ogi hat mich ans Rote Kreuz verwiesen, das meine Miete bezahlt hat. Diese materielle, aber auch psychologische Hilfe ist sehr wichtig. Sie hat mich beruhigt und mir ermöglicht, nicht in Panik zu geraten.»

Ulzii Jargal, Haushaltsangstellte aus Genf

Ulzii Jargal, Haushaltsangstellte aus Genf

Nergui Enebish

Nergui Enebish

Auch Nergui Enebish erhält Hilfe von HEKS. Da sie vor Kurzem ihr zweites Kind geboren hat, ist sie ohne Arbeit (und auch ohne Mutterschaftsentschädigung). Ihr Partner, der in Privathaushalten kleine Jobs verrichtet – Garten-, Maler- und Reparaturarbeiten –, konnte während des Lockdowns nur eine seiner Stellen behalten. Die von «Permanences volantes» bestellten Einkaufsgutscheine waren für die Familie eine grosse Hilfe. Da Nergui nun bei einer neuen Familie eine Stelle in Aussicht hat, wird sie Ogi bitten, ihre Arbeit anzumelden, damit sie sozial abgesichert ist. «Weil ich so schlecht französisch spreche, ist es für mich eine grosse Hilfe, Ogi an meiner Seite zu haben. Sie hat mich auch schon ins Spital begleitet und mit meinem Ältesten in die Schule.»

Lockdown: Kein Lohn mehr für Haushaltshilfen

Im Gegensatz zu anderen Branchen waren Arbeiten der Hauswirtschaft während des Lockdowns nicht offiziell untersagt. «Das hat zu grosser Verwirrung geführt», erklärt Clotilde Fischer, Leiterin des HEKS-Projekts «Chèques-emploi». «Die einen haben von Anfang an entschieden, ihre Angestellten zu bezahlen, ohne dass sie zur Arbeit kommen. Viele haben aber fälschlicherweise geglaubt, dass Putzen, Babysitting und andere Arbeiten im Haushalt verboten sind. Dabei wären sie gesetzlich dazu verpflichtet gewesen, ihren Angestellten weiterhin Arbeit zu geben, wenn sie die Sicherheitsvorschriften einhalten konnten, oder aber ihnen den Lohn fortzuzahlen.»

HEKS bemühte sich, diese Information an ArbeitgeberInnen weiterzugeben, die bei «Chèques-emploi» gemeldet sind, und sie über die Medien zu verbreiten. «Nicht wenige sagten, sie hätten die Lohnzahlungen im März und April vergessen, und zahlten rückwirkend. Einige Angestellte berichteten uns auch, dass sie nach einem in der Tageszeitung «24 heures» erschienenen Artikel von ihren Arbeitgebern bezahlt worden sind», hält Clotilde erfreut fest, wohlwissend, dass hier die Methode der kleinen Schritte zählt. «Manche ArbeitgeberInnen haben immer noch Mühe, zu verstehen, dass sie Hausangestellten gegenüber Pflichten haben, zum Beispiel sie auch bei Krankheit zu bezahlen oder wenn ihr Arbeitstag auf einen Feiertag fällt. Lauter Dinge, die man nicht in Frage stellt, wenn man selbst angestellt ist.»

Ulzii Jargal

Ulzii Jargal

Nach den Lockerungen des Lockdowns hat Ulzii nicht wieder alle ihre Stellen antreten können. «Besuche im Pflegeheim sind noch nicht möglich und da eine meiner Arbeitgeberinnen schwanger geworden ist und zu arbeiten aufgehört hat, braucht sie mich jetzt nicht mehr. Eine andere Familie hat meine Arbeitszeit reduziert, weil die Mutter erst wieder Teilzeit arbeitet.» Kein Aufatmen also für die philippinischen, mongolischen und lateinamerikanischen Gemeinschaften spanischer oder brasilianischer Sprache, um die sich «Permanences volantes» in Genf kümmert.



Interview mit Lisandro Nanzer, Leiter von Permanences volantes

Erfahren Sie mehr über unser Engagement in der Romandie auf www.heks.ch.

Spenden Sie jetzt!