Dossier

Für Partnerschaften
auf Augenhöhe

Die «Lokalisierung» der internationalen Zusammenarbeit ist das Gebot der Stunde. Es geht darum, dass Organi­sationen, deren Hauptsitz oft fern von den Einsatzgebieten liegt, Ressourcen, aber auch Verantwortung verstärkt an Menschen vor Ort übertragen. Dazu braucht es Vertrauen in die lokalen ­Partner:innen, aber auch Offenheit für neue Ideen und die Bereitschaft zur Selbstreflexion.

E
s ist seit Jahrzehnten weithin anerkannt: Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Friedensförderung müssen auf lokalen Initiativen und auf lokalem Wissen aufbauen, also lokal verankert sein. Dies nicht nur, weil die Menschen in den Projekten ein Recht auf Selbstbestimmung haben, sondern auch, weil es die Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und die Effizienz der Projekte fördert. Denn lokale Partner:innen bleiben vor Ort, wenn Projekte enden, und sie haben meist profunde Kenntnisse der Kultur und der Sprache, viel Wissen über den Kontext und einen guten Zugang zu den Menschen.

Weg von «Gebenden» und «Empfangenden» …
Viele Organisationen setzen schon länger auf lokale Partner­organisationen, um Projekte in den Programmländern zu implementieren. Die Lokalisierung richtet das Augenmerk aber auch auf das Machtgefälle in diesen Partnerschaften. Denn häufig haben weiterhin die Geber:innen «aus dem Norden» das Sagen über den Inhalt und die Ausgestaltung von Projekten, die Partner:innen «im Süden» fühlen sich lediglich als Umsetzer:innen. Bei der Lokalisierung geht es darum, dass die traditionellen Rollen von «Gebenden» und «Empfangenden» von Hilfe grundlegend überdacht werden und dass Entscheidungs- und Gestaltungskompetenzen viel stärker als bisher mit lokalen Partner:innen in den Ländern geteilt und an diese übergeben werden.

… hin zu Partnerschaften auf Augenhöhe
Seit seiner Gründung legt HEKS Wert auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit seinen Partner:innen vor Ort. Dies können gesellschaftliche Akteur:innen wie NGO, soziale Bewegungen, Forschungsinstitute oder auch Vertreter:innen des privaten und des öffentlichen Sektors sein. Einige Partnerschaften dauern kurze Zeit, andere werden über viele Jahre gepflegt. Wichtig ist, dass die Rollen der Partne­r:innen wie auch die Rolle von HEKS bei jeder Partnerschaft massgeschneidert sind, so dass sich die Zusammenarbeit auf die jeweiligen Stärken stützt und diese bestmöglich nutzt. Und – auch dies ein wichtiger Aspekt der Lokalisierung – dass HEKS die lokalen Partner:innen so unterstützt, dass sie sich ihren eigenen Zielen und Prioritäten entsprechend weiter­entwickeln können.

Eine Reise, die noch nicht zu Ende ist
Ein ehrliches und bestimmtes Engagement ist nötig, um überholte Denk- und Verhaltensmuster und ungleiche Macht­verhältnisse in der internationalen Zusammenarbeit zu erkennen und zu überwinden. Dies erfordert auch immer wieder die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und gewohnte Abläufe und Strukturen entsprechend anzupassen. Lokalisierung muss daher auch innerhalb der Organisation gelebt werden, etwa indem interne Strukturen dezentralisiert, Kompetenzen in die Programmländer verlagert werden und auf Diversität der Belegschaft geachtet wird.
Lokalisierung ist eine Reise, auf der wir uns derzeit befinden und an deren Ende wir sicher noch nicht angekommen sind. Wir sehen die Gelegenheit für die internationale Zusammenarbeit, sich so zu verändern, dass sie den Bedürfnissen der Menschen vor Ort künftig noch wirksamer gerecht werden kann.

Text: Corina Bosshard / Manuel Gysler
Fotos: Christian Bobst / Jjumba Martin

Konsequent den Bedürfnissen der Betroffenen folgen

Die «Survivor and Community-Led Response» (SCLR) ist ein Beispiel dafür, wie Lokalisierung im Bereich der Nothilfe und darüber hinaus konkret aussehen kann. Der Ansatz sieht in den von einer Katastrophe oder einem Krieg betroffenen Menschen «die ersten und die letzten Helfer:innen», die oft genau wissen, was ihre Gemeinschaften gerade am nötigsten brauchen, und diese Hilfe meist auch schnell umsetzen können. SCLR-Programme leisten daher kleine finanzielle Beiträge an verschiedene Selbsthilfe-Ini­tiativen, die von den betroffenen Menschen vor Ort vorgeschlagen, entwickelt und umgesetzt werden. Es gibt öffentliche Ausschreibungen und die eingereichten Kleinprojekte werden von einem Auswahlkomitee gesichtet und bewilligt. Die formellen Anforderungen an einen Projektantrag werden dabei bewusst schlank gehalten.

Pilot im Rahmen der Ukraine-Nothilfe
Seit dem Jahr 2022 ergänzt HEKS seine Ukraine-Nothilfe mit diesem innovativen Ansatz und setzt SCLR-Programme für geflüchtete und intern ver­triebene Ukrainer:innen und ihre Aufnahmege­meinschaften in Rumänien, Ungarn, der Republik Moldau und in der Westukraine um. HEKS-Projektmitarbeitende begleiten die Menschen bei der Erstellung der Projektanträge und bei der Durch­führung ihrer Aktivitäten und fördern so gleichzeitig deren Kapazitäten im Bereich des Projekt­managements.

Ein vielversprechender Ansatz
Hunderte Initiativen aus der Bevölkerung konnten so unterstützt und ermöglicht werden. Es hat sich gezeigt, dass diese nicht nur Lücken schliessen können, die HEKS eventuell nicht wahrgenommen hätte, sondern dass der Ansatz auch das psychische Wohlbefinden und Selbstvertrauen der betroffenen Menschen stärkt. In einer Situation, in der sie die Kontrolle über vieles verloren haben, ermöglichen ihnen die SCLR-Programme, ihre eigene Hilfe in die Hände zu nehmen und sich aktiv für ihre Gemeinschaften zu engagieren.