Von der Müllhalde ins Schulzimmer
Warum Spenden für Hilfsprojekte Sinn macht


Der Kosovo ist der jüngste und ärmste Staat Europas.
Am 17. Februar 2008, neun Jahre nach dem Ende des Kosovokrieges, rief der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien aus – der jüngste Staat Europas war geboren. Auf den Strassen Pristinas feierte das Volk. Feuerwerke wurden gezündet, albanische Fahnen wurden geschwungen.
Heute ist der Kosovo nicht nur der jüngste, sondern nach Angaben der Weltbank auch der ärmste Staat in Europa. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 8800 Euro. Die Arbeitslosenquote beträgt über 32,9 Prozent, unter Jugendlichen sogar rund 60 Prozent – und dies bei einer Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahren.
Die im Kosovo lebenden ethnischen Minderheiten der Roma, Ashkali und Balkan-Ägypter sind von der Armut besonders betroffen. Genaue Zahlen zur Arbeitslosigkeit dieser Gruppen gibt es nicht. Doch gemäss Studien beträgt die Arbeitslosenquote in der Roma-Bevölkerung bis zu 90 Prozent.
Der Kosovokrieg zwang über 100‘000 Roma in die Flucht.
Vor dem Kosovokrieg in den 1990er Jahren lebten zirka 150‘000 Roma, Ashkali und Balkan-Ägypter im Kosovo. Heute sind es noch rund 50‘000. Während des Krieges waren die Roma zwischen die Fronten geraten und sowohl von serbischen als auch albanischen Kämpfern als «Verräter» verfolgt, vertrieben oder kollektiv als Kollaborateure bestraft worden. Schätzungsweise 100‘000 Roma flüchteten in benachbarte Staaten oder nach Westeuropa.
Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Roma hält bis heute an. Roma, die im Kosovo geblieben oder zurückgekehrt sind, leben häufig am Rand der Gesellschaft, in Hüttensiedlungen ausserhalb der Städte und Dörfer. Die räumliche Abgrenzung fördert ihre Stigmatisierung in der Mehrheitsbevölkerung zusätzlich – mit existenziellen Folgen: Die Roma werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und haben häufig keinen Zugang zu staatlichen Leistungen wie zum Beispiel zu gesundheitlicher Versorgung. Und für Roma-Kinder ist der Schulbesuch durch viele Hindernisse erschwert.
Ohne Zugang zu Bildung dreht sich die Armutsspirale weiter.
Bereits früher hatten die Roma kaum Zugang zu Bildung. Den Roma-Kindern wurde der Schulbesuch verweigert, viele Schulleitungen wollten keine «Zigeuner» in ihren Institutionen. Heute fallen Roma-Kinder aus anderen Gründen aus dem Schulsystem: Überwiegend in einem bildungsfernen Umfeld aufgewachsen, werden sie kaum auf den Schuleinstieg vorbereitet. Und bei schulischen Problemen erhalten die meisten Roma-Kinder keine Unterstützung, denn ihre Eltern haben selbst nie eine Schule besucht. Auch die Armut zwingt viele Roma-Kinder, die Schule frühzeitig abzubrechen. Sie müssen zum Einkommen der Familie beitragen und ihre Eltern zu Hause oder bei der Arbeit unterstützen. Ohne den Zugang zu Bildung und zu beruflichen Perspektiven ist es für die junge Roma-Generation aber fast unmöglich, die Spirale der Armut zu durchbrechen.
Isak Skenderi schafft Perspektiven, vor allem für die junge Roma-Generation.
Isak Skenderi ist selbst ein Roma aus dem Kosovo. Mit viel Glück und harter Arbeit hat er den Weg aus der Armut geschafft. Heute leitet er die HEKS-Partnerorganisation «Voice of RAE», die sich für die Rechte der Roma, Ashkali und Balkan-Ägypter im Kosovo einsetzt.
Im Fokus seiner Arbeit steht die Stärkung der jungen Generation: Damit Roma-Kinder bei schulischen Problemen die benötigte Unterstützung erhalten, haben HEKS und «Voice of RAE» einen Stützunterricht aufgebaut, der mittlerweile Teil des regulären Schulangebots ist. Die 14- bis 18-jährigen OberstufenschülerInnen können Stipendien und Tutorate in Anspruch nehmen. Damit schaffen es auch Roma-Jugendliche aus bildungsfernen Familien, die Sekundarschule abzuschliessen und eine Berufslehre oder eine höhere Ausbildung in Angriff zu nehmen.
Auch Erwachsene erhalten von «Voice of RAE» Unterstützung in Form von Arbeitsvermittlung. Bedürftige Roma-Familien können sich mit der Unterstützung von HEKS und «Voice of RAE» ein sicheres und menschenwürdiges Zuhause bauen.

«Ich möchte nicht, dass mein Sohn das gleiche durchmachen muss wie ich, nur weil er ein Rom ist», sagt Isak Skenderi, Leiter von «Voice of RAE».
«Ich möchte nicht, dass mein Sohn das gleiche durchmachen muss wie ich, nur weil er ein Rom ist», sagt Isak Skenderi, Leiter von «Voice of RAE».
Durch den Einbezug der Behörden wird die Wirkung der Projekte verstärkt.
In allen Projekten wird eine Eigenleistung erwartet: Während die Begünstigten beim Häuserbau den Bau selber in die Hand nehmen und die Stipendiaten schulische Mindestleistungen erbringen müssen, wird von den Start-up-Betrieben eine finanzielle Eigenleistung verlangt.
Aber auch die lokalen Behörden werden in die Pflicht genommen. HEKS und «Voice of RAE» gelang es nach vielen Jahren Überzeugungsarbeit, dass sich die örtlichen Gemeinden finanziell an den Hilfsprojekten für Roma beteiligen. Damit wird einerseits eine Multiplikation der Projekte möglich; andererseits werden die Gemeinden dafür sensibilisiert, dass sie nicht nur für das Wohlergehen der albanischen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch für das Wohlergehen der Minderheiten im Kosovo verantwortlich sind.
Alle Teile des Projekts bilden für zahlreiche Roma-Gemeinschaften eine Quelle der Hoffnung. «Eines der grössten Probleme der Menschen hier ist der Mangel an Perspektiven», sagt Isak Skenderi. «Deshalb gibt es immer noch Migration aus dem Kosovo. Sobald die Menschen aber eine Möglichkeit sehen, hier ein besseres Leben aufzubauen, werden sie alles dafür geben, um ihre Träume in ihrer Heimat zu verwirklichen. Darum geht es in unserem Projekt: den Menschen die Chance zu geben, ein Leben in Würde aufzubauen.»
Für weitere Informationen zur Arbeit von HEKS besuchen sie unsere Webseite.